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Schwimmer reden im Meer

SEITENSPRUNG

PLAUDERN, NEUDEUTSCH SMALL TALK, WAS IST DAS EIGENTLICH?

Alles, was eine feindselige Stimmung provozieren könnte ist verboten. Mit fremden Menschen: Politik, Religion, Geld und Weltanschauung. Auch Themen, die die positive Stimmung dimmen: Krankheit, Tod oder Scheidungskrieg. Man will den Anderen von nichts überzeugen, oder sich gar mit seinem Wissen ins Bühnenlicht rücken. Vielmehr geht es darum Spannung abzubauen, dem Anderen zu zeigen, ich interessiere mich für Dich und komme in friedlicher Absicht.

Klar also dass die Redebeiträge in der Länge insgesamt ausgeglichen sein sollten. Zu viele Fragen – Verhör, 
zu lange Antworten – Vortrag. Woher weiß ich nun was die schwierigen Themen sind? Ich muss aufmerksam genug sein, um zu spüren, wenn das Thema dem Anderen unangenehm ist, und dann das Thema geschickt wechseln. So steht das Plaudern also vor allem am Beginn eines Kennenlernens, um dem Anderen die Angst zu nehmen.

Zum Beispiel beim Vorstellungsgespräch wird die erste Frage nicht lauten, „Warum wollen Sie diese Stelle?“ sondern „Haben Sie es gut gefunden, - Sind Sie gestern schon angereist, - haben sie die XY Sehenswürdigkeit gesehen, - darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“ Dies ist von keinerlei Interesse, und dient nur dazu, die Situation aufzulockern, dem Anderen die Zeit zu verschaffen, sich zu akklimatisieren.

Auch wird es eingesetzt, um eine Beziehung genau auf diesem Stadium zu halten. Wir wollen keine Feindschaft, haben im Moment aber vielleicht auch kein Interesse an einer tieferen Freundschaft. Der Andere wird wohlwollend auf Abstand gehalten. Manche Leute fragen nun, warum überhaupt reden, wenn man gar nicht interessiert ist? Dafür gibt es eine ganze Reihe von Antworten. Wir fühlen uns wohler, wenn wir nicht das Gefühl haben, vor unserer Haustür würde Feindesland beginnen, durch das wir so eilig und blicklos wie möglich hindurch müssten. Wer je in eine große Stadt gezogen ist, wird diese Mikrobeziehungen, also wohlwollende aber oberflächliche Beziehungen, zunächst entbehren, als ein diffuses Gefühl von nicht beheimatet sein. Das Plaudern senkt den Blutdruck, führt zu einem weniger angespannten Muskeltonus usw. Vergessen Sie nicht, dass Einzelhaft eine Haftverschärfung ist, aus eben diesen Gründen. Soweit, so gut – 
aber in der Paarbeziehung oder Familie? Ist Plaudern unter Vertrauten nicht eine Gesprächsform minderer Qualität?
Gespräch dient dem Austausch und Austausch findet in sehr verschiedenen Qualitäten statt, je nachdem was damit erreicht werden soll.
Das Plaudern reiht sich ein in Streit, Discussion, Information, Liebeserklärung, Herz ausschütten, Probleme wälzen, geistigen Austausch, Verhandlung und und und ....... es sollte keinesfalls die einzige Gesprächsform sein, weil es sonst siehe oben Abstand schafft.

WAS ABER IST DER SINN?

Ein kurzes Beziehungs-feedback, die Gruppe oder das Paar synchronisiert sich sozusagen. Menschen brauchen das mehr oder weniger ausgeprägt. Menschen mit sehr vielen Außenantennen werden oft von den vielen Eindrücken, die sie aufnehmen, irritiert. Schon nach kurzer Trennung (z.B.Arbeitstag) stellt sich bei der Begrüßung ein Gefühl des Fremdelns ein. Ist alles noch wie heute morgen, hat sich zwischen uns etwas verändert? Wird das nicht aufgelöst wabbert es als merkwürdige Stimmung weiter; der Unsichere macht sich auf Indiziensuche und wird meist fündig.

EVA UND MARTIN

Die Beiden haben zusammen studiert, viel Zeit gemeinsam verbracht. Nach der Heirat kamen in kurzer Folge die beiden Söhne, und Eva blieb zu Hause aus eigenem Entschluss. Martin musste sich nun beruflich mehr reinhängen, um die Familie allein zu ernähren. Er war beruflich viel weg, und auch gedanklich oft abgelenkt von seiner Arbeit. Wenn er nach Hause kam, wendete er sich den Kindern zu, um die wenige Zeit mit Ihnen auszuschöpfen. 
Eva fühlte sich mit ihrer Aufgabe oft überfordert, vermisste die Kontakte zu anderen Erwachsenen und die Klarheit einer beruflichen Aufgabe.
Weiter verunsicherte sie die Art und Weise, wie Martin sich beim Nach-Hause-Kommen verhielt.

Eva:

“Ist irgendetwas, bist Du nicht mehr gerne mit mir zusammen, liebst Du mich nicht mehr?“

Martin:

“ Was willst du die ganze Zeit eigentlich von mir, immer diese Psycho-Gespräche, wenn ich nach Hause komme. Ich sorge für Euch, ich spiele mit den Kindern, ich versuche am Wochenende Dir zu helfen, was Du unter der Woche nicht geschafft hast WAS DENN NOCH ???“

Eva:

“ Du findest also ich mache meine Sache nicht gut? Du würdest es natürlich schaffen! Das gibt Dir aber noch lange nicht das Recht, mich anzuschreien. Ich habe es doch gespürt, dass etwas nicht stimmt!! Warum redest Du nicht mit mir?“

Martin:

“Hast Du es also wieder einmal geschafft. Es ist einfach sinnlos, man kann mit Dir nicht vernünftig reden!“

Eva braucht Plaudern – klarer Fall.

2. VERSION

Martin kommt nach Hause. Die Kinder stürmen auf ihn zu , rufen Papi, Papi.... Er sagt, „Erst mal langsam Jungs, erst ist Eva dran.“

  • „Hallo Eva,“ - Kuss -, „na wie geht es Dir heute?“

  • Sie beginnt die Kümmernisse aufzuzählen.

  • Er hört zu, während er den Jungs einen Apfel schält.

  • Dann sagt er, "Das war ja ganz schön anstrengend. Bei mir war.........“

Was hier erzählt wird ist zu 99% unwichtig. Aber es verschafft Eva die Zeit, ihre Zweifel abzulegen, und in das Gefühl – eigentlich ist alles ganz ok und ich habe einen guten Platz- zurückzufinden. Jetzt ist sie sicher und braucht nicht mehr Indizien zu sammeln.

MARIO 13 JAHRE

Am liebsten spielt er Computerspiele, die Schule und die Lehrer, vor allem die Lehrer (außer dem Sportlehrer), findet er doof. Im Unterricht träumt er sich weg, und bekommt oft organisatorische Fakten nicht mit, besonders wenn sie in den letzten Minuten oder gar schon während des Klingelns genannt werden. So hat ihn die Mathearbeit kalt erwischt, die wohl irgendwann? erwähnt wurde. Die Mutter betrachtet das mit großer Sorge. Sie kocht gerade, als Mario von der Schule kommt.

Sie:

“ Na wie war's, habt ihr Physik zurück? Was hast Du für eine Note? Kannst Du Dich für ein Referat anmelden?“

Mario:

“Ich will kein Referat machen. Physik interessiert mich nicht. Wozu brauche ich das überhaupt?“

Sie:

“Also Mario jetzt fang doch nicht so an. Du weißt genau, wie wichtig die Schule ist!!“

Mario:

“Ich kann es nicht mehr hören. Ihr nervt!“

Sie:

“ WIE REDEST DU MIT MIR, DAS IST JA WOHL EINE FRECHHEIT“

Der Vater kommt.

Vater:

„Was ist denn hier los?“

Sie:

“ Mario und ich unterhalten uns gerade.“

Mario:

“Ich habe keinen Hunger, ich geh hoch.“

Mario braucht Plaudern – klarer Fall.

2.VERSION

Mario kommt von der Schule, die Mutter kocht.

Sie:

“Hallo Mario. Na wie geht es Dir heute? Ich habe Frikadellen gemacht, die isst Du doch so gerne. Papa kommt auch gleich.“

Mario:

“Mhm....“

Sie:

“Kannst Du mal die Gläser hinstellen?“

Mario stellt die Gläser hin.

Sie:

“Danke Mario, ich glaube jetzt kann es losgehen, rufst Du mal den Papa?“

Mario ruft. Der Vater kommt.

Vater:

„Hallo Grosser“

Mario verzieht halb geschmeichelt, halb geniert das Gesicht. Der Vater fragt ihn nach dem Hockey und lässt sich eine Regel erklären, die der Vater nicht verstanden hat. Die Eltern unterhalten sich während des Essens angeregt, wenn Mario sich beteiligt, wenden sie sich ihm interessiert zu, sonst lassen sie ihn in Ruhe.

Ich höre es schon aus meiner Tastatur herausraunen ...und die Schule? Die Schule ist für die Mutter ein wichtiges Thema. Deshalb sollte dieses Gespräch auch so behandelt werden.

D.h.  ANKÜNDIGEN, Ich möchte mit Dir über die Schule reden.

EINVERNEHMLICH VERABREDEN, heute nach dem Abendessen, ok? Der Andere, in diesem Fall Mario braucht die Chance zuzustimmen. Zeitlich begrenzen, es wird nicht länger als eine halbe Stunde dauern, ok? SICH DARAN HALTEN!!!!!! 

ERGEBNIS FESTHALTEN, z.B. also die nächste Französischarbeit ist in 14 Tagen, Du hast Dir bis dahin 5 mal eine halbe Stunde zum Lernen in Deinen Kalender eingetragen und versprochen da unaufgefordert zu lernen. Ich verspreche dir Dich mit dem Thema in Ruhe zu lassen, und wir sprechen dann nochmal, wenn du die Arbeit zurück hast, ok?

ODER VERTAGEN wir hören hier auf, ok?” Es kommt nichts raus heute. Wir werden morgen nochmal darüber reden, ok?
Dies gilt natürlich für alle wichtigen Gespräche.

Immer wieder begegnet mir die beliebte Methode Böse Falle. Ein wichtiges Gespräch wird im Auto begonnen, wo der Andere nicht weg kann. Oder: Schatz wir haben schon so lange nichts mehr zusammen unternommen, lass uns mal wieder essen gehen in Dein Lieblingsrestaurant. Mit dem Gruß aus der Küche kommt dann die Überraschung. Wir müssen jetzt endlich mal über die Renovierung sprechen.

Plaudern hat nur den Zweck den Anderen zu entspannen, weil das die Beziehung festigt. Bei Paaren oder Familien, die in chronifizierte Konflikte geraten, bin ich ebenfalls ein Fan von Plaudern. Hier wird oft der Kontakt abgebrochen, weil Mammut-Gespräche zu befürchten sind, die ermüden und zu keinem Ergebnis führen. Plaudern oder einfache Höflichkeit reduziert das Feindschaftsgefühl, so dass man in Kontakt bleiben kann, obwohl noch keine Lösung gefunden wurde.

Je weiter man sich entfernt, je länger ist der Rückweg. (chinesisches Sprichwort)

Also plaudern Sie doch öfter mal, oder unterhalten Sie sich ernsthaft mit Ihrem PartnerIn über dieses Thema.


Herzliche Grüße
Andrea Krüger

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